Wohlfahrtsbiologische Forschung: Sexuelle Konkurrenz

Wohlfahrtsbiologische Forschung: Sexuelle Konkurrenz

21 Jul 2019

Die Hauptziele der Wohlfahrtsbiologie sind es, unser Verständnis der Lebensqualität von nichtmenschlichen Tieren in Bezug auf ihre Umwelt zu verbessern und die vielversprechendsten Wege zu finden, ihnen zu helfen. Es gibt eine breite Palette von Themen, mit denen sich die Wohlfahrtsbiologie befassen kann. Bei der Erforschung des Wohlbefindens von Wildtieren kann Evolutionsbiologie im Allgemeinen und die Lebensgeschichte von Individuen im Besonderen von großem Nutzen sein. Dieses Feld zielt darauf ab, Muster von Wachstum, Fortpflanzung und Tod von Individuen in Bezug auf die natürliche Selektion und in Bezug auf ihre Umgebung zu beleuchten. Solches Wissen kann sehr nützlich sein, um zu beurteilen, wie das Leben von Individuen in verschiedenen Populationen aussehen könnte.

Im Folgenden finden Sie einen Projektentwurf zum Thema sexuelle Selektion, der eine lebensgeschichtliche Forschung veranschaulicht, die in der Wohlfahrtsbiologie entwickelt werden könnte. Diese Forschungsprojektidee ist breit angelegt. Es könnten diverse Spezies unter Betrachtung diverser Faktoren, die Auswirkungen auf das Wohlergehen von Individuen haben können, erforscht werden.

Wir hoffen, Forscher*innen, die sich für sexuelle Selektion und sexuellen Wettbewerb sowie andere lebensgeschichtliche Themen interessieren, zu inspirieren, Forschungsprojekte zu entwerfen, die an ihre eigenen Umstände angepasst sind. Die Ergebnisse könnten unser Verständnis des Leidens von Wildtieren verbessern.

Projektidee: Der Zusammenhang zwischen Wohlergehen und sexueller Konkurrenz

Sexuelle Selektion wird als eine Form der natürlichen Selektion betrachtet, die Anpassungen für das Gewinnen von Partner*innen statt Anpassungen für das eigene Überleben bevorzugt.1 Obwohl bestimmte Merkmale die Fitness eines Individuums sowohl in Bezug auf sein Überleben als auch auf die Reproduktion verbessern können – eine effiziente Nahrungssuche erhöht z.B. seine Überlebenschancen und liefert gleichzeitig Nährstoffe für das Wachstum von sexuellen Ornamenten (wie z.B. gefärbten Federn) –, können Merkmale, die sich evolutionär aufgrund sexueller Vorteile durchgesetzt haben, das Überleben eines Individuums auch beeinträchtigen.

Bei vielen Tierarten werden Merkmale, durch welche Individuen ihre Chancen, Partner*innen erfolgreich zu umwerben, erhöhen, in zwei Kategorien eingeteilt: Jene, die im Wettbewerb mit Konkurrenten dienlich sind (intrasexuelle Selektion) und jene, die eine erfolgreiche Werbung von Partner*innen erleichtern (intersexuelle Selektion). Die erste Kategorie ist dann der Fall, wenn Individuen mit Rivalen des gleichen Geschlechts kämpfen, wodurch sich evolutionär Merkmale durchsetzen, die in derartigen Kämpfen vorteilhaft sind, wie z.B. Hörner, Geweihe, Krallen und aggressives Verhalten. Bei der zweiten Kategorie konkurrieren Individuen des gleichen Geschlechts darin, Partner*innen des anderen Geschlechts zu umwerben. In diesem Fall wird die Entwicklung farblich auffälliger Ornamente, sowie von Gerüchen, aufwändigen Tänzen und Lautäußerungen begünstigt.2 Viele dieser Merkmale gehen mit verringerten Überlebenschancen von Individuen eines Geschlechts einher.3 Die großen Geweihe männlicher Elche z.B. sind sperrig und schwer, was ihre Fluchtfähigkeit vor Raubtieren einschränkt. Die Geweihe können sich auch in tief hängenden Ästen und Sträuchern verfangen, was für männliche Individuen ein weiteres Todesrisiko darstellt. Helle Färbungen und ausgefeilte Lautäußerungen, wie sie bei vielen männlichen Vögeln und Fröschen zu sehen sind, erregen nicht nur die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts, sondern auch die von Raubtieren.

Dies deutet darauf hin, dass sexuelle Konkurrenz zu individuellem Leid führen kann, entweder direkt durch Verletzungen bei Kämpfen um Partner*innen oder indirekt, wenn Individuen Balzverhalten zeigen, das die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie Raubtieren zum Opfer fallen. Bislang gibt es jedoch noch keine Studien, die derartige Zusammenhänge untersucht haben, bzw. versucht haben, diese quantitativ zu erfassen. Derartige Forschung wäre wichtig, da bei Arten mit sehr starker sexueller Selektion die sexuelle Konkurrenz eine der Hauptursachen für Mortalität und Leiden sein kann.

Generelle Ausrichtung

Bestimmen Sie die direkten und indirekten Auswirkungen der sexuellen Konkurrenz auf das Wohlergehen von Individuen, die Arten angehören, bei denen sexuelle Selektion eine dominierende selektive Kraft ist.

Direkte und indirekte Auswirkungen können in verschiedenen Forschungsprojekten getrennt bewertet werden.

Ziele

  • Arten von Säugetieren und Vögeln identifizieren, bei denen sexuelle Selektion die wichtigste selektive Kraft ist (Schwerpunkt auf diesen Taxa zur Erleichterung der Identifizierung der negativen Auswirkungen auf individuelles Wohlergehen)
  • Beforschung der Frage, inwiefern sich sexuelle Konkurrenz und die Wahl der Partner*innen auf das Wohlbefinden von Individuen beiderlei Geschlechts auswirken
  • Analyse der Auswirkungen des sexuellen Wettbewerbs auf das Wohlbefinden von Individuen mit quantitativen und qualitativen Methoden

Zu erforschende Spezies

Zur Erforschung der direkten Auswirkungen des sexuellen Wettbewerbs auf das Wohlbefinden von nichtmenschlichen Tieren

  • Seeelefant (Mirounga angustirostris): Hochgradiger Sexualdimorphismus wurde mit hohen Sterblichkeitsraten bei männlichen Individuen in Verbindung gebracht4
  • Damhirsch (Dama dama), Moorantilope (Kobus leche), Roosevelt-Elch (Cervus canadensis roosevelti), Weißwedelhirsch (Odoicoleus virginianus): Männliche Individuen mit großem Geweih kämpfen heftig während der Brunft5

Zur Erforschung der indirekten Auswirkungen des sexuellen Wettbewerbs auf das Wohlbefinden von nichtmenschlichen Tieren

  • Tiefland-Felsenhahn (Rupicola rupicola), Auerhahn (Centrocercus urophasianus): Prädationsgefahr auf den Balzplätzen6
  • Erlenzeisig (Spinus spinus) und andere Sperlingsvögel, bei denen das Prädationsrisiko mit der Helligkeit des Gefieders in Verbindung gebracht wird7

Faktoren, die Auswirkungen auf das Wohlergehen von Individuen haben können

  • Verletzungen durch sexuelle Konkurrenz
  • Alle Formen geschlechtsspezifischen Hungers (wenn Individuen eines Geschlechts einen höheren Ernährungsbedarf haben als jene des anderen Geschlechts)
  • Prädationsrate (bei Arten, bei denen ein Geschlecht auffälliger ist als das andere)
  • Lebensdauer
  • Mortalität

Zu erwartende Ergebnisse dieser Forschung

  • Besseres Verständnis der Art und Weise, wie sexuelle Konkurrenz Leiden verursacht
  • Besseres Verständnis des Ausmaßes des durch sexuellen Wettbewerb verursachten Leidens
  • Identifizierung von Arten, bei denen die sexuelle Selektion erhebliche negative Auswirkungen auf das Wohlergehen von Individuen hat
  • Besseres Verständnis des Potenzials von Eingriffen in die Natur zur Verringerung des durch sexuelle Selektion verursachten Leidens

Weiterführende Literatur

Bonduriansky, R.; Maklakov, A.; Zajitschek, F. & Brooks, R. (2008) “Sexual selection, sexual conflict and the evolution of ageing and life span”, Functional Ecology, 22, pp. 443-453 [aufgerufen am 27. Februar 2019].

Christe, P.; Keller, L. & Roulin, A. (2006) “The predation cost of being a male: Implications for sex-specific rates of ageing”, Oikos, 114, pp. 381-384.

Liker, A. & Székely, T. (2005) “Mortality costs of sexual selection and parental care in natural populations of birds”, Evolution, 59, pp. 890-897.

Nunn, C. L.; Lindenfors, P.; Pursall, E. R. & Rolff, J. (2009) “On sexual dimorphism in immune function”, Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 364, pp. 61-69 [aufgerufen am 25. Februar 2019].

Promislow, D.; Montgomerie, R. & Martin, T. E. (1994) “Sexual selection and survival in North American waterfowl”, Evolution, 48, pp. 2045-2050.

Rankin, D. J. & Kokko, H. (2006) “Sex, death and tragedy”, Trends in Ecology & Evolution, 21, pp. 225-226.

Toïgo, C. & Gaillard, J. M. (2003) “Causes of sex‐biased adult survival in ungulates: Sexual size dimorphism, mating tactic or environment harshness?”, Oikos, 101, pp. 376-384.


Fußnoten

1 Rice, S. A. (2007) Encyclopedia of evolution, New York: Facts on File.

2 Darwin, C. (2016 [1871]) Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, Norderstedt: Hansebooks.

3 Owen-Smith, N. (1993) “Comparative mortality rates of male and female kudus: The costs of sexual size dimorphism”, Journal of Animal Ecology, 62, pp. 428-440.

Promislow, D. E. (1992) “Costs of sexual selection in natural populations of mammals”, Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 247, pp. 203-210.

Promislow, D. E.; Montgomerie, R. & Martin, T. E. (1992) “Mortality costs of sexual dimorphism in birds”, Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 250, pp. 143-150.

4 Clinton, W. & Le Boeuf, B. (1993) “Sexual selection’s effects on male life history and the pattern of male mortality”, Ecology, 74, pp. 1884-1892.

5 Clutton-Brock, T. H. & Parker, G. A. (1995) “Sexual coercion in animal societies”, Animal Behaviour, 49, pp. 1345-1365.

Ditchkoff, S. S.; Welch, E. R., Jr.; Lochmiller, R. L.; Masters, R. E. & Starry, W. R. (2001) “Age-specific causes of mortality among male white-tailed deer support mate-competition theory”, The Journal of Wildlife Management, 65, pp. 552-559.

Leslie, D. M., Jr. & Jenkins, K. J. (1985) “Rutting mortality among male roosevelt elk”, Journal of Mammalogy, 66, pp. 163-164.

6 Trail, P. (1987) “Predation and antipredator behavior at Guianan Cock-of-the-Rock leks”, The Auk, 104, pp. 496-507.

Boyko, A. R.; Gibson, R. M. & Lucas, J. R. (2004) “How predation risk affects the temporal dynamics of avian leks: Greater sage grouse versus golden eagles”, The American Naturalist, 163, pp. 154-165.

7 Huhta, E.; Rytkönen, S. & Solonen, T. (2003) “Plumage brightness of prey increases predation risk: An among-species comparison”, Ecology, 84, pp. 1793-1799.

Pascual, J.; Senar, J. C. & Domènech, J. (2014) “Plumage brightness, vigilance, escape potential, and predation risk in male and female Eurasian Siskins (Spinus spinus)”, The Auk, 131, pp. 61-72.