Antagonismus in der Natur: Innerartliche Kämpfe

Antagonismus in der Natur: Innerartliche Kämpfe

Dieser Text beschäftigt sich mit dem Thema des innerartlichen Antagonismus bei Wildtieren, d. h. mit kämpferischen Konflikten zwischen Tieren derselben Art. Informationen zu anderen Formen des Antagonismus finden Sie in die Artikel Interspezifische Konflikte; Informationen zu anderen Arten von Wildtierleid sind auf unserer Hauptseite zur Situation von Tieren in der Wildnis zu finden.

Antagonistische Beziehungen bestehen nicht nur zwischen Tieren unterschiedlicher Arten, sondern auch innerhalb einer Art. Innerartliche Konflikte entstehen, wenn die Interessen von Tieren, die derselben Art angehören, in Konflikt stehen, also wenn eine wertvolle Ressource nur in eingeschränktem Maße zur Verfügung steht. Manche Gebiete sind beispielsweise besser geeignet, um Nahrung, Fortpflanzungspartner oder Unterschlupf zu finden oder um sich vor Wetterbedingungen oder Raubtieren zu schützen. Da Angehörige derselben Spezies sehr ähnliche Bedürfnisse in Hinsicht auf ihr Wohlbefinden, Überleben und Fortpflanzung haben, die Nachfrage dieser Ressourcen in der Regel jedoch höher ist als das Angebot, kommt es häufig zu Konflikten.1 Tiere konkurrieren auch miteinander um Zugang zu Fortpflanzungspartnern, sozialen Status, Nahrung und elterliche Fürsorge. Ein Konflikt kann direkt ausgetragen werden, indem Tiere miteinander kämpfen (fachsprachlich Interferenz), oder indirekt, wenn sie auf andere Weise miteinander konkurrieren (Exploitation).2 Beide Formen der Konkurrenz können Leid verursachen: Kämpfe können Verletzungen und den Tod zur Folge haben, und auch wenn Tiere nicht direkt von anderen geschädigt werden, können sie unter den Folgen des Ressourcenmangels leiden.

Revierkämpfe

Territorialverhalten ist eine weitverbreitete Ursache für innerartliche Konflikte. Zu dieser Art von Verhalten kommt es, wenn ein Tier sein Revier gegen das Eindringen anderer Tiere verteidigt, um den exklusiven Zugang zu den Ressourcen innerhalb des Reviers beizubehalten.3 Diese Ressourcen können Nahrung und Nistplätze sein, und das Revier kann auch geeigneter sein, um Fortpflanzungspartner zu finden. Tiere nutzen eine Vielzahl an Methoden, um ihr Territorium abzugrenzen und zu verteidigen; unter anderem Duftmarkierungen, wobei das Tier das eigene Revier mit stark riechenden Substanzen markiert;4 visuelle Markierungen, zum Beispiel durch das Ankratzen von Bäumen oder das Reiben an Bäumen, um Teile des Fells daran zurückzulassen;5 und Vokalisierung wie Vogelgesang oder Wolfsheulen.6 Manchmal wenden Tiere jedoch auch Gewalt an, was das Risiko von Verletzungen bis hin zum Tod sowohl des verteidigenden als auch des eindringenden Tiers beinhaltet.

Vögel

Viele Vogelspezies verhalten sich territorial, zumindest während der Brutsaison. Manche sind auch bereit zu kämpfen, um das eigene Revier zu verteidigen.7 Diese Kämpfe können brutal sein und alle beteiligten Tiere mit schmerzhaften Verletzungen zurücklassen. Im untenstehenden Video sehen wir zwei ausgewachsene Männchen im Revierkampf. Der Vogel, der den Kampf verliert, wird von seinem Artgenossen auf dem Boden festgehalten und brutal gepickt. Nach dem Kampf ist er so stark verletzt, dass er benommen wirkt und unfähig, zu fliegen.

Hüttensänger kämpfen, um ihre Brutstätten vor Artgenossen und Vögeln anderer Spezies, wie Spatzen und Zaunkönigen, zu schützen. Das untenstehende Video zeigt zwei Männchen, die miteinander kämpfen. Laut der Person, die dies aufzeichnete, dauerte der Kampf 45 Minuten.

Säugetiere

Unter Schimpansen kommt es häufig zu Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen. Diese Konflikte wurden aufgrund ihrer Dauer und des hohen Ausmaßes an Planung und Koordination auch mit menschlichen Kriegen verglichen. Dabei geht es meistens um Territorium oder das Entführen zeugungsfähiger Weibchen. Jane Goodall war die erste Forscherin, die diesem Krieg beiwohnte. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen des „Schimpansenkriegs von Gombe„:

Über mehrere Jahre hatte ich Schwierigkeiten, mit dieser neuen Erkenntnis zurechtzukommen. Wenn ich nachts aufwachte, kamen mir oft gegen meinen Willen schreckliche Bilder in den Sinn – Satan [einer der Affen], der mit seiner Hand Sniffs Kinn umschloss, um das Blut zu trinken, das aus einer großen Wunde in seinem Gesicht floss; der alte Rodolf, sonst so gutmütig, der sich aufrichtete, um einen vier Pfund schweren Stein auf Godis Körper zu schleudern, der mit dem Gesicht nach unten dalag; Jomeo, der einen Hautstreifen von Dés Oberschenkel riss; Figan, der auf den verwundeten, zitternden Körper von Goliath, einem seiner Kindheitshelden, losstürmte und ihn wieder und wieder schlug.8

Großkatzen zeigen häufig Territorialverhalten. Tiger sind in der Regel Einzelgänger, die ihre eigenen Reviere unterhalten. Die Größe dieser Reviere hängt von vielen Faktoren ab, darunter der Art des Lebensraums, der Häufigkeit von Beutetieren, dem Geschlecht und dem Alter des Tigers.9 Tiger sind bereit zu kämpfen, um ihr Revier vor Eindringlingen zu schützen. Diese Kämpfe kommen meist zum Ende, wenn das schwächere Tier nachgibt, manchmal kann dieses jedoch auch verletzt werden oder sterben. Das untenstehende Video zeigt eine junge Tigerin, die im Revier eines ausgewachsenen Tigers jagt. Dieser attackiert sie, und obwohl sie schnell nachgibt, erleidet sie eine tiefe Wunde an ihrer Tatze.

Insekten

Viele Ameisenspezies verhalten sich hochterritorial. Honigameisen leben in trockenen Regionen in Nordamerika, Australien und Afrika. Sie sind für ihre spezialisierten Arbeitskräfte – Speicherameisen bzw. fachsprachlich Repleten – bekannt, die wiederum von anderen Arbeiterameisen gefüttert werden und als „lebende Speisekammern„ dienen, indem sie ihren Körper zur Verfügung stellen, um Honig für den Winter aufzubewahren. Territorialkonflikte mit anderen Kolonien werden oft durch ritualisierte Kämpfe gelöst. Ist eine Kolonie jedoch bedeutend stärker, kann es dazu kommen, dass sie die schwächere überfällt. Bei diesen Überfällen wird die Königin der schwächeren Kolonie getötet oder vertrieben, die Arbeiter werden versklavt und die Repleten, die reich an Honig sind, werden entführt, um die stärkere Kolonie mit Nahrung zu versorgen.10 Auf dem untenstehenden Video ist zu sehen, wie eine Kolonie eine andere überfällt. Nachdem die Ameisen der stärkeren Kolonie den Widerstand überwunden haben, zerren sie die Repleten in ihr eigenes Nest. Um an den Honig zu gelangen, kauen sich die Arbeiter durch deren Unterleib.

Kämpfe um Fortpflanzungspartner

Polygynie ist ein Paarungssystem, bei dem ein männliches Tier mit mehreren weiblichen Tieren exklusiv lebt und sich fortpflanzt. Dieses System wurde bei See-Elefanten, Gorillas, Pavianen und Fasanen beobachtet. Da die Anzahl der männlichen und weiblichen Tiere bei den meisten Spezies ungefähr gleich ist, führen polygyne Paarungssysteme dazu, dass Männchen untereinander um den Zugang zu den Weibchen konkurrieren. Männliche See-Elefanten kämpfen um die Kontrolle eines Strandes und haben dadurch das exklusive „Recht„, sich mit den Weibchen in diesem Revier zu paaren. Ein erfolgreiches Männchen kann einen Harem von bis zu 100 Weibchen unterhalten, während die meisten Männchen gar keine Gelegenheit erhalten, sich zu paaren. Diese zwischen Männchen stattfindenden Kämpfe können brutal sein, insbesondere wenn sie sich kräftemäßig wenig unterscheiden. In dem untenstehenden Video ist zu sehen, wie zwei ausgewachsene See-Elefanten um die Kontrolle eines Strandes kämpfen.

Männliche Zebras unterhalten Harems, die aus mehreren Weibchen bestehen, und kämpfen gegen andere Männchen, die versuchen, sich mit diesen zu paaren. Diese Kämpfe können Gewalt beinhalten, zum Beispiel das gegenseitige Beißen in Hals und Kopf. Das untenstehende Video zeigt zwei Zebrahengste, die um die Kontrolle eines Harems kämpfen – man beachte, wie sie versuchen, die wichtigsten Sehnen im Hinterbein des jeweils anderen zu beißen.

Hengste weiten ihre Harems aus, indem sie Stuten aus dem Harem, in dem sie geboren wurden, entführen, sobald diese sexuelle Reife erlangt haben, oder indem sie sie von anderen Hengsten „stehlen„. Wenn das gefangene Weibchen bereits schwanger ist, wendet das Männchen Gewalt an, um mit ihm zu kopulieren, bis der Fötus entweder reabsorbiert wird oder es zu einer Fehlgeburt kommt. Untersuchungen zu gefangenen Zebras zeigen, dass Abtreibungshäufigkeiten dreimal höher sind, wenn ein neues Männchen in eine Herde mit schwangeren Weibchen eingeführt wird.11 Im untenstehenden Video ist zu sehen, wie ein männliches Zebra versucht, ein Fohlen eines männlichen Rivalen zu ertränken.

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Männliche Kängurus kämpfen um bevorzugten Zugriff auf Weibchen. Diese Kämpfe können brutal sein, wobei es selten zu schweren Verletzungen kommt. Dominante Männchen erhalten ihren Status über mehr als ein Jahr aufrecht. Aufgrund dauerhafter Kämpfe und des damit einhergehenden hohen Energiebedarfs sowie der verringerten Zeit, die zur Nahrungsaufnahme übrigbleibt, kommt es zu bedeutenden Verschlechterungen ihrer körperlichen Verfassung bis hin zum Tod.12 Auf dem untenstehenden Video ist zu sehen, wie zwei ausgewachsene Männchen um ein Weibchen kämpfen, das sich in der Brunst befindet.

Sozialer Status

Bei sozialen Tieren ist der soziale Status sehr relevant, da ein höherer Rang besseren Zugang zu Fortpflanzungspartnern und Ressourcen wie Nahrung und Territorium zur Folge haben kann. Schimpansen wurden dabei beobachtet, wie sie Mitglieder ihrer eigenen Gruppe im Rahmen von Konflikten in Bezug auf den sozialen Status, Paarungsrechte oder politische Macht umbringen. In diesem Fall versucht Foudouku – ein früherer Anführer seiner Gruppe, bevor er seinen engsten Verbündeten verlor und vertrieben wurde – seiner damaligen Gruppe wiederbeizutreten, um sich zu paaren. Während manche der älteren Schimpansen Foudoukus Rückkehr in die Gruppe akzeptierten, war dies bei einigen jüngeren Männchen – denen es eventuell missfiel, mehr Konkurrenz um Fortpflanzungspartner zu haben – nicht der Fall. Diese vertrieben ihn mehrfach. Schließlich attackierte diese Subgruppe Foudouku und tötete ihn. Als seine Leiche gefunden wurde, war sie mit vielen schweren Verletzungen übersät, unter anderem einer schweren Bisswunde in seinem Fuß, einer tiefen Schnittwunde an seinem Rücken, einem aufgerissenen Anus und gebrochenen Rippen. Nach seinem Tod fuhr die Gruppe fort, Foudoukus Leiche mit Steinen und Stöcken zu attackieren, und aß sogar Teile seines Fleisches. Das untenstehende Video zeigt eine ähnliche Tötung, die innerhalb einer Gruppe stattfindet:

Kannibalismus und Infantizid

Kannibalismus kommt in der Natur häufig vor. Er wurde bei ungefähr 1,300 Spezies13 und in vielen verschiedenen sozialen und ökologischen Kontexten beobachtet.14 Das kannibalistische Tier profitiert auf zweierlei Weise, sowohl durch die zusätzliche Nahrung als auch durch die Auslöschung eines Konkurrenten.15 Das Opfer verliert dabei natürlich sein Leben. Kannibalismus kann auch bei der innerartlichen Übertragung von Krankheiten eine Rolle spielen, zumindest in Spezies, die Kannibalismus in Gruppen praktizieren.16 In manchen Spezies haben sich morphologisch distinkte, spezialisierte Kannibalen entwickelt. Dies wird kannibalistischer Polyphänismus genannt, worunter man versteht, dass sich die Kannibalen innerhalb einer Population phänotypisch von den Nicht-Kannibalen unterscheiden. Dies wurde bei Larvenformen von Tigersalamandern und mehreren Kröten-Spezies beobachtet.17 In vielen Fällen wird Kannibalismus bei sehr jungen Nachkommen praktiziert. In manchen Fällen ermöglicht dies dem Kannibalen, wertvolle Nährstoffe zu erhalten und den Nachwuchs eines Rivalen auszulöschen. In anderen Fällen ist es ein Elternteil, das die eigenen Kindern tötet und manchmal isst.

Kannibalismus wurde auch bei wilden Oktopussen beobachtet. Der Kannibale ist üblicherweise vier- bis fünfmal größer als das Tier, das konsumiert wird. Oktopusse praktizieren Kannibalismus sogar, wenn ihre Beutetiere (z. B. Muscheln) verfügbar sind. Dies könnte der Fall sein, da Oktopusfleisch einen pro Gramm höheren Proteinanteil als Muschelfleisch aufweist oder da es schwierig ist und einen hohen Energieaufwand erfordert, Muschelschalen zu öffnen.18 Das untenstehende Video zeigt, wie ein Oktopus einen anderen in der Wildnis isst.

Viele Insektenspezies praktizieren Kannibalismus. Die Gemeine Wespe geht dazu über, Larven zu essen, sobald eine Kolonie beginnt unterzugehen, meistens nach dem Tod der Königin.19 Das untenstehende Video zeigt, wie eine Kolonie von Riesenhornissen eine andere Kolonie attackiert. Sie verwenden ihre Unterkiefer, um ihre Feinde zu enthaupten. Sobald sie die verteidigenden Tiere besiegt haben, dringen sie in deren Nest und essen die sich dort befindenden Larven.

Sexueller Kannibalismus kommt häufig bei Insekten und Spinnen vor. Auf dem untenstehenden Video ist zu sehen, wie eine weibliche Gottesanbeterin einen männlichen Artgenossen verschlingt, während er damit fortfährt, sich mit ihr zu paaren.

Unter Schimpansen wurde mehrfach beobachtet, dass Infantizid im Rahmen von Kannibalismus auftrat. Hierbei wurden Männchen beobachtet, die sowohl Nachkommen innerhalb ihrer eigenen Gruppe20 als auch Nachkommen, die aus Rivalengruppen entführt wurden, getötet und gegessen haben.21 Auf dem untenstehenden Video ist zu sehen, wie eine Gruppe von Schimpansen das Territorium einer Rivalengruppe überfällt. Die angreifenden Tiere fangen und töten einen jungen Schimpansen, dann teilen sie sich dessen Leiche.

Es kann vorkommen, dass ein Elternteil den eigenen Nachwuchs tötet (Filialinfantizid) oder isst (Filialkannibalismus). Diese Verhaltensweisen wurden bei Fischen,22 Vögeln,23 Ratten,24 Faultieren25 und Käfern26 beobachtet. Die Ursachen dafür sind nicht immer klar ersichtlich. Ein Grund könnte sein, dass das Elternteil „Schadensbegrenzung„ betreiben möchte bzw. die Energie, die es in seinen Nachwuchs investiert hat, als „schlechtes Investment„ ansieht und „wieder reinholen„ möchte; zum Beispiel, wenn die Nachkommen sich zu langsam entwickeln oder krank sind oder nicht genügend Nahrung für alle vorhanden ist. Aufgrund von schwierigen Umweltbedingungen könnte das Elternteil hungern oder unter starker Belastung stehen. In manchen Fällen töten Eltern ihre Nachkommen, um sich selbst wieder zur Fortpflanzung zur Verfügung zu stellen, um „einen neuen Versuch„ für „bessere„ Nachkommen zu erhalten.27

Das untenstehende Video zeigt ein Dickzisselweibchen (Singvogel), das eins seiner Küken aus dem Nest schmeißt.

Folgendes Video zeigt ein Lerchenweibchen, das eins seiner Küken teilweise isst. Aus dem Video geht nicht hervor, ob es das Küken selbst getötet hat.

Konkurrenz zwischen Geschwistern

Immer wenn ein Tier mehrere Nachkommen auf einmal hat, birgt dies Potenzial für Rivalität, die zwischen den Geschwistern entsteht. Nahrung und elterliche Zuwendung sind begrenzt. In Situationen, in denen nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen – entweder aufgrund von schlechten Umweltbedingungen oder der vielen Nachkommen – müssen Geschwister miteinander um diese Ressourcen konkurrieren. Manchmal werden diese Konflikte auf nicht-aggressive Weise ausgetragen; beispielsweise konkurrieren Wanderdrossel-Küken miteinander um Nahrung, indem sie bettelndes Verhalten zeigen, und die Küken, die das ausgeprägteste Bettelverhalten zeigen, erhalten von ihren Eltern mehr Nahrung. Es konnte gezeigt werden, dass dies nicht nur der Kommunikation von Hunger dient, sondern vielmehr einen Versuch des Kükens darstellt, mehr Ressourcen zu erhalten, damit weniger für ihre aktuellen Geschwister übrigbleibt bzw. um das zukünftige Fortpflanzungspotenzial ihrer Eltern zu reduzieren.28 Auch wenn dies kein direktes aggressives Verhalten darstellt, hat diese Art von Manipulation negative Konsequenzen zum einen für die aktuellen Geschwister, die weniger Nahrung erhalten, als sie benötigen, und zum anderen für die Eltern, die gezwungen sein können, sich zu überanstrengen und größeren Risiken durch Raubtiere auszusetzen, um die Nahrung für ihre bettelnden Küken zu beschaffen. Das untenstehende Video erklärt einige der Methoden, die junge Vögel anwenden, um ihre Eltern zu manipulieren, dass diese ihnen mehr Nahrung zukommen lassen; unter anderem spielen lautes Zwitschern, die Farbgebung ihres Mundes sowie ihre Positionierung innerhalb des Nests eine Rolle.

Rivalität zwischen Geschwistern kann sich außerdem aggressiv gestalten und in Siblizid (auch Kainismus genannt), also der Tötung eines Geschwisters resultieren. Siblizid kann obligat oder fakultativ sein. Tötet ein größeres das kleinere Geschwister, unabhängig von der Menge an verfügbaren Ressourcen, spricht man von obligatem Siblizid. Fakultativer Siblizid ist an Bedingungen geknüpft – er wird nur durchgeführt, wenn die Verfügbarkeit der Ressourcen ein gewisses Niveau unterschreiten.29 Siblizid wird am häufigsten bei Vögeln beobachtet. Nazcatölpel sind große Meeresvögel, deren Küken obligaten Siblizid praktizieren. Die Mutter legt bei jedem Gelege ein bis zwei Eier. Das erste Küken schlüpft meist ca. fünf Tage vor dem zweiten und tötet dieses fast immer, indem es sein jüngeres Geschwister aus dem Nest zerrt.30 Blaufußtölpel praktizieren fakultativen Siblizid, d. h. das ältere Küken tötet das jüngere nur im Falle von Nahrungsknappheit.31 Auf dem untenstehenden Video ist ein Nazcatölpel-Küken zu sehen, das sein jüngeres Geschwister aus dem Nest entfernt, wo es sterben wird. Die Mutter greift hierbei nicht ein.

Tüpfelhyänen praktizieren ebenfalls fakultativen Siblizid. Hyänenjunge werden mit offenen Augen und entwickelten Zähnen geboren und beginnen kurz nach ihrer Geburt, miteinander zu kämpfen.32 Der Hintergrund dieser Kämpfe ist die Etablierung der Rangfolge, in Phasen großer Konkurrenz um Nahrung können sie jedoch zum Tod führen. Laut einer Langzeitstudie zu wilden Hyänen im Serengeti-Nationalpark kam es zu 37 Sibliziden bei insgesamt 384 Würfen.33 Das untenstehende Video zeigt, wie neugeborene Hyänenjunge sich bereits kurz nach der Geburt gegenseitig angreifen. Die zwei stärksten Junge verbünden sich dann gegen das schwächste und greifen es bereits an, bevor es überhaupt vollständig aus seiner Fruchtblase herausgekommen ist. Sie töten es nicht direkt, verwehren ihm jedoch den Zugang zur Muttermilch, wodurch es verhungert.

Innerartliche Konflikte entstehen überall dort, wo die Interessen von Artgenossen konfligieren, wie dies in Bezug auf Territorium, Nahrung, Zugang zu Fortpflanzungspartnern, sozialen Status sowie elterliche Fürsorge der Fall sein kann. Ob diese Konflikte durch offene Aggression ausgetragen werden oder nicht – das Ergebnis ist dasselbe: Viele Tiere leiden unter Gewalt oder Deprivation. Tiere, die nicht in der Lage sind, ein Revier zu unterhalten, werden nicht unbedingt direkt von Artgenossen getötet, aber ohne ein Revier werden sie Schwierigkeiten haben, genügend Nahrung zu finden. Auch Männchen, die den Konkurrenzkampf um Fortpflanzungspartner verlieren, werden nicht unbedingt direkt von ihren stärkeren Artgenossen getötet, aber werden sich nicht fortpflanzen können sowie unter sexueller Frustration leiden. Nichtmenschliche Tiere, die in der Wildnis leben, sind ab dem Moment ihrer Geburt einer Situation ausgeliefert, die ihnen das Überleben stark erschwert. Einige der großen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, gehen von Tieren ihrer eigenen Spezies aus. Bei manchen Spezies können sogar die Eltern und Geschwister eine Bedrohung darstellen.


Fußnoten

1 Begon, M.; Townsend, C. R. & Harper, J. L. (2006) Ecology: From individuals to ecosystems, Oxford: Blackwell, p. 132.

3 Ibid., pp. 132-133.

3 Ibid., p. 154.

4 Ralls, K. (1971) „Mammalian scent marking“, Science, 171, pp. 443-449.

5 Cabrera, K. A. (2013) „Black bear marking trees“, Beartracker’s [aufgerufen am 16. August 2019].

6 Harrington, F. H. & Mech, L. D. (1979) „Wolf howling and its role in territory maintenance“, Behaviour, 68, pp. 207-249 [aufgerufen am 28. November 2019].

7 Ritchison, G. (2009) „BIO 554/754: Ornithology“, Eustern Kentucky University [aufgerufen am 16. August 2021].

8 Goodall, J. (2010) Through a window: My thirty years with the chimpanzees of gombe, New York: Houghton Mifflin Harcourt, p. 127.

9 Mazák, V. (1981) „Panthera tigris“, Mammalian Species, 152, pp. 1-8.

10 Hölldobler, B. (1976) „Tournaments and slavery in a desert ant“, Science, 192, pp. 912-914. Hölldobler, B. (1981) „Foraging and spatiotemporal territories in the honey ant Myrmecocystus mimicus wheeler (Hymenoptera: Formicidae)“, Behavioral Ecology and Sociobiology, 9, pp. 301-314.

11 Pluháček, J. & Bartoš, L. (2000) „Male infanticide in captive plains zebra, Equus burchelli“, Animal Behaviour, 59, pp. 689-694. Pluháček, J. & Bartoš, L. (2005) „Further evidence for male infanticide and feticide in captive plainszebra, Equus burchelli“, Folia Zoologica, 54, pp. 258-262.

12 Dawson, T. J. (1995) Kangaroos: Biology of the largest marsupials, New York: Cornell University Press, p. 75.

13 Polis, G. A. (1981) „The evolution and dynamics of intraspecific predation“, Annual Review of Ecology and Systematics, 12, pp. 225-251.

14 Mitchell, J. C. & Walls, S. C. (2008) „Cannibalism“, in Jørgensen, S. E. (ed.) Encyclopedia of ecology, Amsterdam: Elsevier, pp. 513-517.

15 Rudolf, V. H. W. & Antonovic, J. (2007) „Disease transmission by cannibalism: Rare event or common occurrence?“, Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 274, pp. 1205-1210 [aufgerufen am 3. November 2019].

16 Mitchell, J. C. & Walls, S. C. (2008) „Cannibalism“, op. cit., p. 516.

17 Ibid., p. 514.

18 Hernández-Urcera, J.; Garci, M. E.; Roura, Á.; González, Á. F.; Cabanellas-Reboredo, M.; Morales-Nin, B. & Guerra, Á. (2014) „Cannibalistic behavior of octopus (Octopus vulgaris) in the wild“, Journal of Comparative Psychology, 128, pp. 427-430.

19 Potter, N. B. (1964) A study of the biology of the common wasp, Vespula vulgaris (L.), with special reference to the foraging behavior, PhD thesis, Bristol: University of Bristol, pp. 33-34.

20 Nishida, T. & Kawanaka, K. (1985) „Within-group cannibalism by adult male chimpanzees“, Primates, 26, pp. 274-284. Kawanaka, K. (1981) „Infanticide and cannibalism in chimpanzees, with special reference to the newly observed case in the Mahale Mountains“, African Study Monographs, 1, pp. 69-99 [aufgerufen am 11. Oktober 2019].

21 Watts, D. P. & Mitani, J. C. (2000) „Infanticide and cannibalism by male chimpanzees at Ngogo, Kibale National Park, Uganda“, Primates, 41, pp. 357-365. Goodall, J. (1977) „Infant killing and cannibalism in free-living chimpanzees“, Folia Primatologica, 28, pp. 259-289.

22 Matsumoto, Y.; Tateishi, T.; Terada, R.; Soyano, K. & Takegaki, T. (2018) „Filial cannibalism by male fish as an Infanticide to restart courtship by self-regulating androgen levels“, Current Biology, 28, pp. 2831-2836 [aufgerufen am 29. September 2019]. Klug, H. & Lindström, K. (2008) „Hurry-up and hatch: Selective filial cannibalism of slower developing eggs“, Biology Letters, 4, pp. 160-162 [aufgerufen am 14. November 2019]. Payne, A. G.; Smith, C. & Campbell, A. C. (2002) „Filial cannibalism improves survival and development of beaugregory damselfish embryos“, Proceedings of the Royal Society B: Biological sciences, 269, pp. 2095-2102.

23 Coon, J. J.; Nelson, S. B.; West, A. C.; Bradley, I. A. & Miller, J. R. (2018) „An observation of parental infanticide in Dickcissels (Spiza americana): Video evidence and potential mechanisms“, Wilson Journal of Ornithology, 130, pp. 341-345.

24 DeSantis, D. T. & Schmaltz, L. W. (1984) „The mother‐litter relationship in developmental rat studies: Cannibalism vs caring“, Developmental Psychobiology, 17, pp. 255-262.

25 Stromberg, J. (2014) „Zoo keepers are hand-rearing a tiny sloth bear cub“, Smithsonian Magazine, March 21 [aufgerufen am 18. August 2019].

26 Trumbo, S. T. (1994) „Interspecific competition, brood parasitism, and the evolution of biparental cooperation in burying beetles“, Oikos, 69, pp. 241-249 [aufgerufen am 25. September 2019].

27 Matsumoto, Y.; Tateishi, T.; Terada, R.; Soyano, K. & Takegaki, T. (2018) „Filial cannibalism by male fish as an Infanticide to restart courtship by self-regulating androgen levels“, op. cit.

28 Smith, H. G. & Montgomerie, R. (1991) „Nestling American robins compete with siblings by begging“, Behavioral Ecology and Sociobiology, 29, pp. 307-312.

29 Anderson, D. J. (1990) „Evolution of obligate siblicide in boobies: A test of the insurance egg hypothesis“, The American Naturalist, 135, pp. 334-350.

30 Ibid.

31 Lougheed, L. W. & Anderson, D. J. (1999) „Parent blue-footed boobies suppress siblicidal behavior of offspring“, Behavioral Ecology and Sociobiology, 45, pp. 11-18.

32 Frank, L. G.; Glickman, S. E. & Light, P. (1991) „Fatal sibling aggression, precocial development, and androgens in neonatal spotted hyenas“, Science, 252, pp. 702-704.

33 Hofer, H. & East, M. L. (2008) „Siblicide in Serengeti spotted hyenas: A long-term study of maternal input and cub survival“, Behavioral Ecology and Sociobiology, 62, pp. 341-351.