Warum Insekten nicht als Nahrung für andere Tiere genutzt werden sollten: Feedback von Animal Ethics an die Europäische Union

Warum Insekten nicht als Nahrung für andere Tiere genutzt werden sollten: Feedback von Animal Ethics an die Europäische Union

21 May 2021

Mit der Entwicklung der Massentierhaltung – zuerst der Haltung von Landtieren wie Vögeln und Säugetieren (Hühnern, Schweinen und Kühen) und später von vielen Arten von Meerestieren wie Fischen – brachte das 20. Jahrhundert neue Formen der Aufzucht und des Tötens einer riesigen Anzahl an Wirbeltieren hervor. In diesem Jahrhundert wird dieser Prozess fortgeführt, indem neue Formen der Aufzucht und des Tötens extrem vieler wirbelloser Tiere entwickelt werden. Es kommt zu einer Ausdehnung der Massentierhaltung, im Rahmen derer nun auch Insekten für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden.

Viele dieser Insekten werden genutzt, um Nahrung für Menschen zu produzieren, wobei ihr Nutzen häufig verschleiert wird, wie dies z. B. bei „Insektenmehl“ oder „Insektenburgern“ der Fall sein kann. Häufiger – und in erschreckend hohem Ausmaß – werden sie jedoch genutzt, um Nahrung für andere Tiere herzustellen. Aufgrund dieses Umstands sowie ihrer kleinen Körpergröße birgt die Insektenzucht das schreckliche Potenzial, das Ausmaß der Ausbeutung der Tiere durch die Menschen auf eine neue, nie dagewesene Ebene zu befördern.

Da dieser Prozess andernorts schon so stattfindet, beschäftigt sich die Europäische Union aktuell mit der Frage, ob es erlaubt sein sollte, Tiere in der Massentierhaltung auch mit anderen Tieren zu füttern. Falls dies erlaubt wird, wird es zu einer bedeutenden Vergrößerung der Anzahl an Schweinen, Hühnern und Insekten kommen, die in der Massentierhaltung gezüchtet werden. Insbesondere wird es sehr viel mehr Insekten geben, die genutzt werden, um andere Tiere zu füttern.

Zusammen mit anderen Tierorganisationen, Gelehrten und weiteren Menschen, die sich mit diesem Thema befassen, gab Animal Ethics der Europäischen Union zu diesem Thema Feedback. Wir haben der Europäischen Kommission die untenstehende Stellungnahme geschickt, in der wir die Gründe erläutern, warum die Insektenzucht gestoppt und nicht gefördert werden sollte.


Feedback für die Europäische Kommission

(Übersetzung aus dem Englischen)

Die Nutzung von Tieren als Nahrungsmittel für andere Tiere führt zu einem immensen Anstieg an Tierleid. Dieses vergrößert sich nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch relativ zum Endgewicht der hergestellten Tierprodukte.

Aus diesem Grund stellt diese Maßnahme eine der denkbar schlechtesten Entscheidungen dar, die aus Sicht des Tierschutzes getroffen werden könnte. Artikel 13 des Vertrags von Lissabon besagt ausdrücklich, dass die Union und die Mitgliedsstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung tragen müssen, da Tiere empfindungsfähige Lebewesen sind. Dementsprechend würde die Genehmigung dieser Maßnahme diese Verpflichtung nicht einhalten.

Die Nutzung von Tieren als Nahrung für andere Tiere führt zu großem Leid, wenn die genutzten Lebewesen Wirbeltiere wie Säugetiere oder Vögel sind. Sie führt jedoch ebenfalls zu großem Leid, wenn es sich um wirbellose Tiere wie Insekten handelt. Die Nutzung von Insekten als Nahrung ist insbesondere problematisch, da diese sehr klein sind und sich dadurch die Anzahl der Lebewesen, die insgesamt zu Schaden kommen, drastisch erhöht.

Trotz der allgemeinen traditionellen Missachtung von wirbellosen Tieren – insbesondere auch von Insekten – kommen immer mehr Forschungsbefunde zu dem Schluss, dass Insekten empfindungsfähig und somit in der Lage sind, zu leiden (Carere & Mather 2019). Aus diesem Grund sollte ihr Wohlbefinden bei Gesetzesentwürfen und der Umsetzung von Tierschutzmaßnahmen ähnliche Berücksichtigung finden wie das anderer Tiere.

Insekten sind zu flexiblen Verhaltensweisen in der Lage, die, wie gezeigt werden konnte, nicht nur die Entscheidungsfindung im Kontext sich verändernder Umstände sowie adaptives Verhalten umfassen, sondern auch kognitive Generalisierungs- und Lernprozesse, die durch die Integration verschiedener Arten von Informationen ermöglicht werden (EFSA 2005; Mendl et al. 2011; Adamo 2016).

Physiologische Befunde unterstützen diese Schlussfolgerung. Insekten besitzen ein zentrales Nervensystem mit einem distinkten Gehirn (Kaas 2016). Wir wissen noch nicht genau, wie komplex diese Strukturen sein müssen, jedoch wissen wir, dass zentrale Nervensysteme Informationen so verarbeiten, dass in jedem Fall eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass Insekten ein Bewusstsein besitzen. Aus diesem Grund ist es hochplausibel, dass Insekten empfindungsfähige Lebewesen sind.

Das Gehirn von Insekten ist in verschiedene Regionen unterteilt, von denen eine das Protocerebrum ist, welches Pilzkörper mit vielen Nervenzellen beinhaltet. Typischerweise gibt es in dieser Region zwischen 10^5 und 10^6 Neuronen, was eine beachtliche Anzahl an Nervenzellen darstellt. In den Gehirnen von Insekten wurden lokale Feldpotentiale mit einer Frequenz von 20-30 Hz aufgezeichnet (Polilov 2012).

Während sich die Nervensysteme und Gehirne der Insekten sowohl in der Architektur als auch in der Größe stark von denen der Säugetiere unterscheiden, haben sie einige strukturelle Elemente gemeinsam. Das Konnektom einiger Insekten ist vergleichbar mit den Netzwerken von Fasersträngen bei Makaken. Sie sind auch im Sinne einer sogenannten small world organisiert, was einer Kombination aus hoher Konnektivität zwischen benachbarten Regionen und “Shortcut”-Verbindungen zu entfernten Regionen entspricht (Kaiser 2015). Die Pilzkörper von Insekten sind höhere Gehirnzentren, die unterschiedliche multisensorische Informationen in vielen getrennten Eingangsschichten empfangen und integrieren. Sie scheinen es Insekten zu ermöglichen, aus früheren Erfahrungen zu lernen, sich an diese zu erinnern und Informationen zu integrieren. Auf diese Weise spielen sie eine Schlüsselrolle bei der Steuerung des komplexen Verhaltens von Insekten (Gronenberg & López-Riquelme 2004; Collett & Collett 2018). Dementsprechend wurde argumentiert, dass das Insektengehirn ein spezialisiertes Zentrum für die Verarbeitung räumlicher Informationen sowie für die Organisation von Bewegung besitzt (Barron & Klein 2016).

Wenn Insekten ein phänomenales Bewusstsein besitzen, bedeutet dies, dass sie leidensfähig sind und ihnen daher Schaden zugefügt werden kann, wenn sie in großen Zahlen gezüchtet werden (Tye 2016; Ginsburg & Jablonka 2019; Birch 2020).

Wir fordern die Europäische Kommission auf, all dies zu berücksichtigen, wenn sie Entscheidungen über Maßnahmen trifft, die nichtmenschliche Tiere auf potenziell äußerst negative Weise beeinflussen. Es gibt wichtige Gründe, die Nutzung von Insekten als Nahrungsmittel für andere Tiere wie Schweine und Hühner nicht zuzulassen.

Selbst diejenigen, die von diesen Argumenten nicht völlig überzeugt sind, könnten zu dem Schluss kommen, dass eine vorsichtige Haltung zumindest gebieten würde, das Thema genauer zu untersuchen (Birch 2017). Diejenigen, die gar nicht überzeugt sind, könnten wohl so lange mit der Genehmigung dieser Maßnahme warten, bis die Studienlage zu diesem Thema eine noch eindeutigere Schlussfolgerung nahelegt. Bis dahin sollte auf eine derartig starke Ausdehnung der Nutzung von Tieren verzichtet werden.

Die Einhaltung des Vertrags von Lissabon impliziert, dass die Vermeidung von Tierleid ein zu schützender Grundwert ist. Zusätzlich zu unserer allgemeinen Empfehlung, dass die Ausweitung der Nutzung von Tieren im Widerspruch zu diesem Vertrag steht und nicht genehmigt werden sollte, machen wir die folgenden spezifischen Vorschläge:

· Bezüglich der Erwägungsgründe des Verordnungsentwurfs: vollständige Streichung von Erwägungsgrund 16.

· Bezüglich des Anhangs des Verordnungsentwurfs: Streichung aller Verweise auf die Verfütterung von Insekten an Geflügel und Schweine auf den Seiten 3, 5, 6 und 20. Streichung des neu hinzugefügten Abschnitts 2 auf Seite 1.


Weiterführende Literatur

Adamo, S. A. (2016) „Do insects feel pain? A question at the intersection of animal behaviour, philosophy and robotics“, Animal Behaviour, 118, pp. 75-79.

Barron, A. B. & Klein, C. (2016) „What insects can tell us about the origins of consciousness“, Proceedings of the National Academy of Sciences, 113, pp. 4900-4908 [aufgerufen am 2. April 2021].

Birch, J. (2017) „Animal sentience and the precautionary principle“, Animal Sentience, 16 [aufgerufen am 14. April 2021].

Birch, J. (2020) „The search for invertebrate consciousness“, Noûs, 30 August [aufgerufen am 21. April 2021].

Carere, C. & Mather, J. (eds.) (2019) The welfare of invertebrate animals, Dordrecht: Springer.

Collett, M. & Collett, T. S. (2018) „How does the insect central complex use mushroom body output for steering?“, Current Biology, 28, pp. R733-R734 [aufgerufen am 26. März 2021].

EFSA – European Food Safety Authority­ (2005) „Opinion of the Scientific Panel on Animal Health and Welfare (AHAW) on a request from the Commission related to the aspects of the biology and welfare of animals used for experimental and other scientific purposes“, EFSA Journal, 3 [aufgerufen am 30. April 2021].

Ginsburg, S., & Jablonka, E. (2019) The evolution of the sensitive soul: Learning and the origins of consciousness, Cambridge: MIT Press.

Gronenberg, W. & López-Riquelme, G. O. (2004) „Multisensory convergence in the mushroom bodies of ants and bees“, Acta Biologica Hungarica, 55, pp. 31-37.

Kaas, J. H. (ed.) (2016). Evolution of nervous systems, Amsterdam: Elsevier.

Kaiser, M. (2015) „Neuroanatomy: Connectome connects fly and mammalian brain networks“, Current Biology, 25, pp. R416-R418 [aufgerufen am 26. April 2021].

Klein, C. & Barron, A. B. (2016) „Insect consciousness: Commitments, conflicts and consequences“, Animal Sentience, 9 [aufgerufen am 28. April 2021].

Mallatt, J. & Feinberg, T. E. (2016) „Insect consciousness: Fine-tuning the hypothesis“, Animal Sentience, 9 [aufgerufen am 27. April 2021].

Mendl, M.; Paul, E. S. & Chittka, L. (2011) „Animal behaviour: Emotion in invertebrates?“, Current Biology, 21, pp. R463-R465 [aufgerufen am 4. April 2021].

Polilov, A. A. (2012) „The smallest insects evolve anucleate neurons“, Arthropod Structure & Development, 41, pp. 29-34.

Tye, M. (2016) Tense bees and shell‐shocked crabs: Are animals conscious?, New York: Oxford University Press.